Sitzung vom 6. Oktober 2016

Entwurf eines Dekretes zur Schaffung einer Dienststelle der Deutschsprachigen Gemeinschaft für selbstbestimmtes Leben

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in dritter und letzter Lesung den Entwurf eines Dekretes zur Schaffung einer Dienststelle der Deutschsprachigen Gemeinschaft für selbstbestimmtes Leben.

Der Minister für Familie, Gesundheit und Soziales wird mit der Durchführung des vorliegenden Beschlusses beauftragt.

2. Erläuterungen:

Im Rahmen der Sechsten Staatsreform wurden der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) die Zuständigkeiten im Bereich der Mobilitätshilfen und der Beihilfen zur Unterstützung von Betagten übertragen. Hierdurch entstand die Notwendigkeit, vor allem aber auch die Sinnhaftigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Beratungsstelle für die häusliche, teilstationäre und stationäre Hilfe und der Dienststelle für Personen mit einer Behinderung (DPB). Die gemeinsame Organisation von einzelnen Dienstleistungen, insbesondere hinsichtlich der Beratungen im Bereich der Mobilitätshilfen und der Beihilfen zur Unterstützung von Betagten dürfte Synergieeffekte und Skaleneffekte entstehen lassen, die für den Nutznießer eine verbesserte Dienstleistung ermöglichen.

Zur Verwaltung dieser neuen Zuständigkeiten wird die DG mit den zur Verfügung stehenden Strukturen und Ressourcen arbeiten, anstatt neue Behörden zu schaffen. Für die Verwaltung wird daher der Auftrag der DPB um die Beratungsstelle für die häusliche, teilstationäre und stationäre Hilfe sowie für die Mobilitätshilfen erweitert. Darüber hinaus umfasst der Auftrag der Dienststelle insbesondere die neutrale Einschätzung des Unterstützungsbedarfs der Bewohner der Alten- und Pflegewohnheime (APWH) der DG. Im Rahmen der Neugestaltung des Kindergeldsystems in der DG soll die Dienststelle die Einschätzung der Beeinträchtigung der Kinder vornehmen, die das Recht auf einen Zuschlag zum Basisbetrag eröffnet.

Die so erweiterte Dienststelle, die den Namen „Dienststelle der Deutschsprachigen Gemeinschaft für selbstbestimmtes Leben“ tragen wird, soll künftig die Bürgerinnen und Bürger der DG bei der Entfaltung eines selbstbestimmten Lebens unterstützen. Somit bestimmt fortan eine Zielsetzung und keine Zielgruppe das Handeln der Dienststelle. Dieser Auftrag kann nur von einer behördlichen Struktur im Sinne der Betroffenen wahrgenommen werden. Selbstverständlich wird die Regierung bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Weiterentwicklung der Unterstützungsmaßnahmen alle relevanten Akteure einbeziehen.

Dieser Dekretentwurf reflektiert darüber hinaus eine weitere Entwicklung. Es ist davon auszugehen, dass das Landesinstitut für Kranken- und Invalidenversicherung (LIKIV) – als bisheriger Hauptkostenträger der Beratungsstelle für die häusliche, teilstationäre und stationäre Hilfe – kein Interesse haben dürfte, weiter in die Vermeidung/Hinauszögerung von APWH-Unterbringungen zu investieren, da diese Kosten durch die Sechste Staatsreform zu Lasten der Gemeinschaften gehen. Es stellte sich u.a. die Frage, ob und bis zu welchem Grad ein Dienst den signifikant divergierenden Anforderungen der DG und des LIKIV gerecht werden kann. Dieses Finanzierungsmodell und die doppelte inhaltliche Ausrichtung der Beratungsstelle stellte auf Dauer ein Hindernis für eine effektive Politikgestaltung dar. Auch wenn die doppelte Bezuschussung der Beratungsstelle nicht unproblematisch war, hat sie doch erlaubt, ein Projekt aufzubauen, welches in Belgien als Modell gilt. Die auslaufende Finanzierung der Beratungsstelle als VoG durch das LIKIV stellte die Frage der Anschlussfinanzierung. Durch den vorliegenden Dekretentwurf wird die Arbeit der Beratungsstelle langfristig abgesichert, weiterentwickelt und gestärkt.

Neben den Entwicklungen, denen sich die Gemeinschaft aufgrund der Sechsten Staatsreform gegenübersieht, sprechen auch inhaltliche Gründe für einen erweiterten Auftrag der DPB um den Bereich Senioren.

Im Wesentlichen lässt sich dies unter dem Konzept menschenrechtsbezogener Ansatz zusammenfassen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass alle Menschen das Recht haben und die Fähigkeiten besitzen, ein weitgehend normales Leben zu führen und das eigene Leben so zu gestalten, wie sie es möchten – insofern bei Bedarf von der Gesellschaft entsprechende Unterstützung bereit gestellt wird. Dieser Ansatz ist bereits jetzt in der Arbeit der Beratungsstelle für die häusliche, teilstationäre und stationäre Hilfe und der der DPB prägend und wird durch diesen Dekretentwurf weiter gestärkt.

Praktisch bedeutet dieser Ansatz, dass der individuellen Situation des Menschen im Case Management durch eine individuelle Herangehensweise, den Mix an Unterstützungsmaßnahmen und -leistungen und das Selbstbestimmungsrecht Rechnung getragen wird. Somit trägt dieser Ansatz zur individuellen Problemlösung bei.

Die vorgesehene Konzertierung mit den Gewerkschaften hat stattgefunden. Es wurde Einvernehmen erzielt.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Vorliegendes Dekret hat folgende finanzielle Auswirkungen zur Folge:

Durch die Übernahme der Aufgaben der Beratungsstelle für die häusliche, teilstationäre und stationäre Hilfe, Eudomos- Ihr häuslicher Begleitdienst,  werden Mittel aus dem Haushalt der Gemeinschaft, OB 50 PR 17 Zw 33.06  an die Dienststelle übertragen. Es handelt sich um einen Betrag von 84.000 EUR.  Diese Übernahme bleibt also kostenneutral.

Das LIKIV wird in Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen auch in 2017 die Dienststelle für die von Eudomos-Ihr HBD übernommenen Aufgaben subventionieren.

Der diesbezügliche Zuschuss in 2016 beträgt 331.000 EUR. Die Summe für 2017 wird voraussichtlich dieselbe Höhe aufweisen.

Ab 2018 ist der Fortbestand dieser Subvention nicht mehr gesichert. Es kann daher zu zusätzlichen Ausgaben auf Ebene der Gemeinschaft kommen.

Was die Übernahme der neuen Zuständigkeit der Mobilitätshilfen betrifft, werden aktuell jährlich za. 200.000 EUR für die Bezuschussung von Hilfen an Personen durch eine Zahlung an das LIKIV über den Haushaltsartikel OB 50 PR 16 Zw. 34.32 ausgegeben. Auch diese Mittel werden der Dienststelle übertragen. Dieser Bereich ist also vorerst kostenneutral.

Die Dienststelle wird voraussichtlich zusätzliches Personal einstellen müssen, um ab 2017 die zusätzlich anfallenden Beratungen im Bereich der Mobilitätshilfen zu gewährleisten. Die Kosten sind noch nicht beziffert und hängen ab von der zusätzlichen Anzahl an Personen, die nunmehr beraten werden müssen. Diese Kosten werden ihren Niederschlag in der Dotation an die Dienststelle, die für 2017 noch nicht kalkuliert wurde, finden.

Die weiteren Aufgaben, so die Einschätzung der Pflegekategorien für die Bewohner der Alten-und Pflegewohnheime, fallen frühestens zum 1. Januar 2018 nach Ablauf der Übergangsperiode, in der das LIKIV diese Aufgaben verwaltet, an. Auch die diesbezüglichen Kosten müssen entsprechend des zukünftigen Finanzierungsmodells  für die Alten- und Pflegewohnheime beziffert werden.

4. Gutachten:

Das Gutachten des Staatsrates Nr. Nr. 59.863/3 vom 26. September 2016 liegt vor.

In seinem Gutachten weist der Staatsrat bezüglich der Zuständigkeit zunächst darauf hin, dass nicht die Deutschsprachige Gemeinschaft, sondern allein der Föderalstaat dafür zuständig sei, den Sprachengebrauch in Verwaltungsangelegenheiten im deutschen Sprachgebiet zu regeln. Es stehe der Deutschsprachigen Gemeinschaft somit nicht zu, eine Regelung vorzusehen, gemäß der die Mitglieder des Verwaltungsrats der Dienststelle die deutsche Sprache oder die deutschen Gebärdensprache beherrschen müssen.

Dieser Bemerkung des Staatsrats wurde Rechnung getragen, indem die entsprechende Regelung entfernt wurde.

In den allgemeinen Bemerkungen weist der Staatsrat darauf hin, dass die in den Artikel 8 Absatz 2, 10, 22 §2, 13 Absatz 2, 14, 16 Absatz 2 und 18 des Dekretentwurfs vorgesehenen Delegationen an die Regierung zu allgemein formuliert seien und somit nicht dem in Artikel 23 der Verfassung vorgesehenen Grundsatz entsprechen, gemäß dem „[…] das Gesetz, das Dekret oder die in Artikel 134 erwähnte Regel unter Berücksichtigung der entsprechenden Verpflichtungen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte [gewährleistet] und die Bedingungen für ihre Ausübung [bestimmt].“ Der Staatsrat schlägt daher vor, die Delegation entsprechend einzugrenzen.

Es wird vorgeschlagen, diese Bemerkung des Staatsrats zur Kenntnis zu nehmen, aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht umzusetzen. In der Tat übernehmen die betroffenen Artikel, nach einer legistischen Überarbeitung, den Wortlaut des derzeitigen DPB-Dekrets und dienen als Grundlage für eine Vielzahl von Ausführungserlassen. An dieser Situation soll in einer ersten Phase nichts geändert werden. Wenn jedoch diese Ausführungserlasse im Laufe der Zeit angepasst werden, wird erneut geprüft, ob Präzisierungen auf Dekretebene angebracht sind und ob die betroffenen Bestimmungen entsprechend angepasst werden sollten.

Ferner stellt der Staatsrat fest, dass der Dekretentwurf zumindest teilweise in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (hiernach „Dienstleistungsrichtlinie“) fällt. Es müsse daher geprüft werden, ob die in Artikel 13 des Dekretentwurfs vorgesehenen Anerkennungsbedingungen keine Diskriminierung gegenüber ausländischen Dienstleistern enthalten und durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können.

Nach Einschätzung der Regierung ist die Dienstleistungsrichtlinie im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Artikel 2 (2) j) der Dienstleistungsrichtlinie sieht vor, dass "soziale Dienstleistungen im Zusammenhang mit [...] der Unterstützung von [...] dauerhaft oder vorübergehend hilfsbedürftigen Personen, die vom Staat, durch von ihm beauftragte Dienstleistungserbringer oder durch von ihm als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen erbracht werden" nicht in den Bereich dieser Richtlinie fallen. Bei der damaligen Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie haben Regierung und Parlament beschlossen, dass der Teil "Personen mit einer Behinderung" unter diesen Artikel fällt und demnach keine Umsetzung der Richtlinie im DPB-Dekret nötig war . Es wird daher vorgeschlagen, diese Einschätzung nun weiterzuführen und die diesbezügliche Bemerkung des Staatsrats nicht umzusetzen.

Schließlich weist der Staatsrat darauf hin, dass Artikel 34 des Dekretentwurfs gegen das Gesetz vom 28. April 1958 über die Pension der Personalmitglieder bestimmter Einrichtungen öffentlichen Interesses und ihrer Berechtigten verstößt, insofern alle Personalmitglieder der Dienststelle – Vertragspersonal einbegriffen – diesem Gesetz unterworfen sind.

Diese Bemerkung des Staatsrats wurde berücksichtigt, indem das Anwendungsgebiet des betreffenden Artikels auf Beamte eingegrenzt wurde.

Das Gutachten des Ausschusses für den Schutz des Privatlebens Nr. 47/2016 vom 21. September 2016 liegt vor

In seinem Gutachten bescheinigt der Ausschuss für den Schutz des Privatlebens (hiernach: „Ausschuss“) dem Dekretentwurf eine grundsätzliche Konformität mit den Bestimmungen über den Schutz von personenbezogenen Daten. Voraussetzung dafür war die Berücksichtigung der folgenden Bemerkungen des Ausschusses:

Der Ausschuss bemängelt, dass Artikel 43 des Entwurfs den Zweckmäßigkeitsgrundsatz verletzt, insofern es der Dienststelle erlaubt ist, bereits erhobene personenbezogene Daten im Rahmen eines anderen gesetzlichen oder dekretalen Auftrags zu einem späteren Zeitpunkt zu verarbeiten.

Dieser Bemerkung wurde Rechnung getragen, indem der entsprechende Passus entfernt wurde.

Weiterhin stellt der Ausschuss fest, dass die Datenkategorien von personenbezogenen Daten in Artikel 45 des Entwurfs festgelegt und mittels Erlass von der Regierung präzisiert werden. Der Ausschuss wünscht, dass ihm dieser Präzisierungserlass vor Verabschiedung unterbreitet wird. Ferner soll in diesem Erlass die Höchstdauer der Datenverarbeitung festgelegt werden.

Diese Bemerkung des Ausschusses wurde ebenfalls berücksichtigt und die entsprechenden Änderungen an Artikel 45 des Entwurfs vorgenommen.

In einer weiteren Bemerkung des Ausschusses wird darauf hingewiesen, dass für die Erfüllung der in Artikel 6 und 17 des Entwurfs erwähnten Aufgaben ein Rückgriff auf anonyme Daten einem Rückgriff auf personenbezogene Daten vorangehen muss. Nur wenn die Aufgaben nicht mithilfe der anonymen Daten umfassend ausgeführt werden können, soll ein Rückgriff auf personenbezogen Daten ermöglicht werden.

Auch diese Bemerkung wurde berücksichtigt und eine entsprechende Bestimmung in den Entwurf aufgenommen.

Schließlich schlägt der Ausschuss vor, in Artikel 43 des Entwurfs zu präzisieren, dass die Dienststelle als Verantwortlicher für die Verarbeitung im Sinne des Gesetzes vom 8. Dezember 1992 zum Schutz des Privatlebens gilt.

Der Bemerkung wurde Rechnung getragen und Artikel 43 des Entwurfs vervollständigt.

5. Rechtsgrundlage:

Sondergesetz vom 8. August 1980 über institutionelle Reformen, Artikel 5 §1

Gesetz vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft, Artikel 4 §2