Sitzung vom 2. September 2016

Dekretentwurf über die Opferhilfe und die spezialisierte Opferhilfe

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in zweiter und letzter Lesung den Dekretentwurf über die Opferhilfe und die spezialisierte Opferhilfe.

Der Minister für Familie, Gesundheit und Soziales wird beauftragt, den Entwurf im Parlament zu hinterlegen.

2. Erläuterungen:

Der beiliegende Dekretvorentwurf dient der Umsetzung der Richtlinien 2011/93/EU  des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates und der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI.

Die Richtlinie ist ein Rechtsinstrument der europäischen Institutionen zur Umsetzung der Politik der Europäischen Union und wird überwiegend zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften eingesetzt.

Anhand der Richtlinie 2011/93/EU soll in der Europäischen Union die Definition von Straftaten im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern sowie mit Kinderpornografie harmonisiert werden. Sie legt auch Mindestvorschriften für Sanktionen fest. Die neuen Vorschriften enthalten auch Bestimmungen zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet und des Sextourismus. Sie bestimmt die Standards zur Unterstützung, Betreuung und Schutz für Opfer vor, während und nach Abschluss des Strafverfahrens. Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs, sexueller Ausbeutung oder von Kinderpornografie sind, werden als besonders gefährdete Opfer angesehen und müssen daher auf eine Art und Weise behandelt werden, die ihrer Situation am besten entspricht. Die besonderen Schutzmaßnahmen werden vor allem dann ergriffen, wenn die Straftat von einem Familienmitglied begangen wurde. Opfer im Kindesalter sollten außerdem Zugang zu Rechtsberatung und zu rechtlicher Vertretung in Strafverfahren haben, gegebenenfalls auch unentgeltlich. Die Unterstützung und Betreuung eines Opfers im Kindesalter dürfen nicht von der Bereitschaft des Opfers abhängig gemacht werden, bei den strafrechtlichen Ermittlungen oder beim Gerichtsverfahren zu kooperieren. Letztlich enthält sie einige Bestimmungen zur Prävention.

Die Richtlinie 2012/29/EU stimmt die Qualitätsbestimmungen der Rechte, Unterstützung und Schutz von Opfern von Straftaten in allen Mitgliedsstaaten aufeinander ab.  Sie erfasst Garantien zu den Rechten und den Dienstleistungen für Opfer um diese effektiv zugänglich und entsprechend der Bedürfnisse der Opfer zu gestalten. Opfer haben Bedürfnisse, die zur Kenntnis genommen werden sollten um den Opfern bei der Wiederherstellung zu helfen: Anerkennung zu finden, eine respektvolle und menschwürdige Behandlung, geschützt und unterstützt zu werden, Zugang zur Justiz zu haben und  Entschädigung zu erhalten. 

Die EU-Länder müssen innerstaatliche Maßnahmen verabschieden, um die von den Richtlinien vorgeschriebenen Ziele umzusetzen. Die getroffenen Maßnahmen müssen der Europäischen Kommission innerhalb einer festgelegten Frist mitgeteilt werden. Nach Ablauf dieser Frist kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Die konkrete Umsetzung in das belgische Rechtssystem dieser Richtlinien fällt in den Zuständigkeiten unterschiedlicher Gebietskörperschaften. Der hier vorgelegte Dekretvorentwurf dient lediglich als Grundlage zur Umsetzung der Maßnahmen und Empfehlungen bezüglich der Opfer einer Straftat, die in die Zuständigkeiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft fallen.

Die Zuständigkeit der Deutschsprachigen Gemeinschaft für die Opferhilfe, die spezialisierte Opferhilfe findet ihre Grundlage im Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, Artikel 5 §1er II (Sozialhilfepolitik).

Entsprechend der Empfehlungen des Staatsrats wurde der Entwurf angepasst.

Bezüglich der vom Staatsrat mehrmals aufgeworfenen Frage der Zuständigkeiten (Bemerkungen 3.2) ist darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeiten der Föderalbehörde durch den vorliegenden Entwurf nicht berührt werden.

Es wurde eine indirekte Umsetzung gewählt, um eine flexiblere Handhabe bei der Anwendung zu bieten und um den Bestimmungen der Richtlinien konform zu bleiben (Bemerkung 4.1).

Zu der Fußnote 9 unter der Bemerkung 3.4 des Staatsratsgutachtens ist zu erwähnen, dass im Rahmen der Umsetzung der erwähnten Richtlinien das Dekret vom 19. Mai 2008 über die Jugendhilfe und zur Umsetzung von Jugendschutzmaßnahmen der Europäischen Kommission bereits als Nationale Umsetzungsmaßnahme (NUM) notifiziert wurde.

Der Staatsrat hebt in seiner Bemerkung 4.2 bezüglich des Artikel 18 (2) der EU-Richtlinie 2011/93/EU hervor, dass die Opferhilfe und die spezialisierte Opferhilfe sich an Opfer von Straftaten wenden, wobei die Qualifizierung einer Handlung als Straftat den dazu zuständigen Behörden obliegen soll. Gleichzeitig stellt dieser Dekretentwurf die Anforderung, Opfern bestimmter Straftaten eine angemessene Hilfe zu erteilen, auch wenn diese Taten bisher nicht von den zuständigen Behörden zur Kenntnis genommen wurden (siehe Artikel 18 (2) der EU-Richtlinie 2011/93/EU und Artikel 8 (2) der EU-Richtlinie 2012/29/EU).

Damit der vorliegende Dekretentwurf den Anforderungen der beiden EU-Richtlinien gerecht wird, ist unter „Straftat“ folgendes zu verstehen: eine allgemeine Bezeichnung für ein passives oder aktives Verhalten, das vom Gesetz mit einer Strafe belegt ist. Dabei muss das Vergehen nicht unbedingt durch eine Gerichtsbehörde festgestellt worden sein.

Auf die Bemerkung 7 des Staatsrats antwortend wurde schließlich der Begriff „die zuständigen öffentlichen Dienste“ gestrichen, da diese Angelegenheit ohnehin bereits durch das Vereinbarungsprotokoll vom 5. Juni 2009 zwischen dem Staat und der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Bezug auf den Opferbeistand geregelt ist.

Unter Berücksichtigung des Dekrets vom 19. März 2012 zur Bekämpfung bestimmter Formen von Diskriminierung und um eine Vereinheitlichung der Texte zu gewährleisten, wird vorgeschlagen, diese Bestimmung entgegen der Empfehlungen des Staatsrats beizubehalten.

Der Staatsrat empfiehlt in seinem Gutachten (Bemerkung 4.3) die Verwendung einer einheitlichen Terminologie. Dementsprechend wurden die besonderen Verweise auf die spezifische Terminologie der EU-Richtlinie 2012/29/EU gestrichen.

Entsprechend den Empfehlungen des Staatsrats wurde zur Umsetzung der Artikel 18 (2), 18 (3) und 19 (2) und (3) der Richtlinie 2011/93/EU die Nummer 8 abgeändert und entsprechend ergänzt (siehe Bemerkungen 4.1 und 4.2 des Gutachtens).

Entsprechend der Bemerkung des Staatsrats wurde die Bestimmung in Anlehnung an den Artikel 12 des Dekrets vom 19. März 2012 zur Bekämpfung bestimmter Formen von Dis-kriminierung angepasst.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Auszug aus der Note an die Regierung vom 9. Juni 2016:

„Gemäß Artikel 8 (3) der EU-Richtlinie 2012/29/EU muss der Zugang zu den spezialisierten Opferunterstützungsdienste kostenlos sein. Diese spezialisierten Opferunterstützungsdienste werden durch den beigefügten Dekretvorentwurf durch die Einrichtungen für Opferhilfe und spezialisierten Opferhilfe innerhalb der Deutschsprachigen Gemeinschaft geregelt. Die EU-Richtlinie 2012/29/EU sieht vor, dass vorerwähnte Einrichtungen für Opferhilfe und spezialisierte Opferhilfe zumindest die in Artikel 9 1) c) Aufgabe der Richtlinie 2012/29/EU erfüllen. Es handelt sich dabei um die im beiliegenden Dekretvorentwurf bezeichnete sozial-psychologische Hilfe für Opfer von Straftaten.

Für das Jahr 2016 sind im Haushalt OB 50 Programm 18 ZW 12.11 4000 Euro für die sozial-psychologische Hilfe von Opfern von Straftaten vorgesehen.

Der Pauschalbetrag für eine  Sitzung für eine sozial-psychologische Hilfe für Opfer von Straftaten in einer Einrichtung für Opferhilfe oder spezialisierte Opferhilfe berechnet sich zurzeit zwischen 14 Euro und 20 Euro. Diese aktuell praktizierten Tarife für die sozial-psychologische Hilfe von Opfern von Straftaten können durch die bisher damit beauftragten Einrichtungen abgeändert werden.

Im Haushalt 2017 werden im OB 50 Programm 18 ZW 12.11 weiterhin Beträge für diese entstehenden Ausgaben in noch nicht bekannter Höhe vorgesehen.“

4. Gutachten:

Das Gutachten des Staatsrates Nr. 59.698/1/V vom 16. August 2016 liegt vor.

5. Rechtsgrundlage:

Sondergesetz vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, Artikel 5 §1 II.

Gesetz vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft, Artikel 4 §2.